21.06.2023 Zeckenjagd im Stellungskrieg

Nachdem das Puzzle aus vielen Befunden, Vermutungen und „könnte so oder nicht so sein“ geordnet wurde, ergab sich ein ernüchterndes aber wenigstens scharfes Bild und es ging anschließend alles relativ schnell. Aber was genau ist denn nun auf dem Puzzelbild zu sehen? Mein unerwünschter Mitbewohner hört auf den Namen Adenokarzinom T3N1 AEG3.

Ich übersetze:

Karzinom: bösartige, linke Zecke (Tumor)

T3N1: kein verirrtes Kind mehr, schon erwachsen und gefährlich, hat damit begonnen, Munitionslager in unmittelbarer Näher (Lymphknoten) zu errichten und hat noch keine Geschwister (Metastasen) als Verstärkung gerufen

AEG3: die Zecke hat sich in die Speisekammer eingeschlichen, direkt da, wo die Speiseröhre in den Magen übergeht

Woher kommt die Zecke?

Es gilt, Stand heute, als anerkannt, dass rückfließende Magensäure (Reflux) langfristig den unteren Teil der Speiseröhre schädigt und dadurch ihre Tür für Zecken (Typ AEG3) und anderes Ungeziefer öffnet. Eigentlich äußert sich das durch Sodbrennen, ich gehöre leider zu den ca. 40% die davon nichts mitbekommen haben. Ich hatte nie Sodbrennen. 

Naja und ich bin Raucher und liebe Gin Tonic. Zwei der vier üblichen Verdächtigen die immer her halten müssen, wenn keine klaren, eindeutigen Ursachen bekannt sind. Die zwei anderen Verdächtigen Stress und Übergewicht treffen bei mir definitiv nicht zu. Geraucht und getrunken habe ich in den letzten Monaten viel, offen gestanden zu viel. Es war ja praktisch jeder Tag Samstag und meine Ausrede hieß immer: „warum nicht“. In diesem, meinem Fall spielt das aber überraschender Weise keine Rolle, unglaublich aber das ist ein nüchterner Fakt. Darüber hinaus fangen sich viele Leute, zunehmend viele Leute, die selbe Zecke ein wie ich ohne jemals eine Zigarette geraucht oder erlebt zu haben, wie gut sich Alkohol anfühlen kann. Punkt, Aus, Ende.

Was nun?

Nun hat der Stellungskrieg begonnen. Ich in meinem Schützengraben, die Zecke in ihrem. Dumm ist nur, dass ich zu ihr hin muss. Heißt, bleibe ich hier in meinem Graben und tue nichts, hat sie mich in 4-6 Monaten, dann mit Geschwistern, umzingelt und gewinnt. Doof. 

Also muss ich mich heimlich anschleichen und sie aus nächster Nähe vor die Flinte kriegen. Oder vor meinen herabsausenden Feldspaten. Bemerkt sie mich dabei ruft sie sofort ihre Geschwister. Dann gilt die 4-6 Monatsfrist. Schiss habe ich, Riesenschiss. 

Aber ich habe wirklich gute Mitstreiter, Strategen, allesamt Generäle gefunden (die mit Namensschild auf weißem Kittel) und die haben einen Erfolg versprechenden 3-Stufen-Plan entwickelt. 

Erstens: wir sorgen dafür, dass die Zecke dich beim Anschleichen nicht sehen kann. Dazu erlebe ich nun täglich meine Erleuchtung (Bestrahlung). Oder besser die Zecke wird erleuchtet. Mein Mitbewohner wird täglich für einem Moment in so helles, himmlisches Licht getaucht, dass er blind für alles andere wird. Ich leuchte natürlich zwangsläufig auch mit und bin am Ende wahrscheinlich so erleuchtet, dass ich künftig im Hellen schlafen muss. 

Zweitens: wir sorgen dafür, dass die Zecke, wenn du vor ihr stehst geblendet ist von deiner Schönheit. Dazu bekomme ich mehrere Cocktails aus dem Chemiebaukasten (Chemotherapie):

Von links nach rechts: Elixier des ewigen Lebens von der Schwesternschaft der heiligen Flamme zu Dessau, regionaler Löwenzahnsirup für starke Fingernägel, Vitamin-E-Komplex für glänzendes Haar, norwegischer Wodka zum Entschlacken und Aufhellen, Seelilienextrakt für jugendliche, straffe Haut. Na wenn das nichts ist. 

Drittens: wir erwarten dich nach dem Anschleichen als neutrale Sanitäter am Zeckengraben. In Wahrheit sind wir aber nicht neutral. Wir halten die Zecke fest, machen sie bewegungsunfähig, töten sie gemeinsam und zerren sie aus ihrem Versteck (Operation).

Klingt für mich nach einem guten Plan, schlaue Kriegsherren. Die beschreiben das allerdings sachlicher. Der Tumor wird durch Kombi aus Bestrahlung und Chemo verkleinert und am Wachsen gehindert. Man macht aus einem in Milchkaffe aufgeweichten Toastbrot ein kleines, vertrocknetes Zwieback. Den kann man dann mittels Operation erfolgreicher entfernen. Im günstigsten Fall lebt er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Klingt simpel, oder?

Wie geht es mir:

Mir ist im Moment wahrlich nicht nach seichtsinniger Operette zumute. Ich bin oft in mich gekehrt, abwesend, schlendere durch meinen bewölkten Horizont, heule, bin wütend und im nächsten Moment wieder voller Zuversicht. Oft stelle ich mir die Frage, was man nun von mir erwartet und was ich eigentlich will. In meinem Kopf findet eine dauernde, bunte Achterbahnfahrt statt. Was einst rot war erscheint nun blau, was einst blau war ist nun grün, was einst grün war …. usw. Eigentlich sehe ich vieles nicht erst seit jetzt so, jetzt fehlt nur die verordnete, eingefärbte Brille. Oft passt das neu Gesehene dann aber so nicht mehr in die erwünschte und bewährte Aufführung, eckt an und hinterlässt dabei Funken. Das ist meine Art damit umzugehen die ich mir nicht ausgesucht habe, sie ist eben da. Und das ist gut so, gut für mich. Das ist mein Dilemma mit dem ich allein klar kommen muss, Prüfungszeit nenne ich das. 

Ich bin froh über alle, die ohne pädagogischen Erziehungstrieb an meiner Seite sind. Die mir das Gefühl geben, aufrichtig, ehrlich, ohne viel Gerede und Getue bei mir zu sein. Sei es persönlich oder elektrisch via Messanger, das macht keinen Unterschied. Manch geschriebene Botschaft hat mir einen ebenso guten Tag verschafft wie ein aufrichtiges Gespräch. Vielen Dank ihr lieben Leute.

Und ich habe erste Konstruktionspläne zum Bau einer Rakete in meinem Kopf, einer bemannten Rakete (für alle im Genderwahn, es gibt keine befrauten Raketen). Eine Rakete, in die ich all jene setzten werde, die im Wettbewerb „krank, kranker am krankesten, am allerallerkrankesten“ unbedingt gewinnen müssen. Gewinnen können sie von mir aus gern, anhören werde ich mir das nicht mehr. Schon irgendwie komisch, wie mancher seine Krankheit(en) gern zum gesellschaftlichen und zum eigenen Lebensmittelpunkt kürt. Ziel der Rakete wird der Mond sein, der Treibstoff wird nur bis hin reichen. 

Ich mache mich jetzt weiter auf meinen Schleichweg, ein Viertel habe ich hinter mir. Wer mir nachts leuchten oder die Daumen drücken möchte, ich freue mich über jeden Kommentar in der unten dafür vorgesehenen Zeile oder auf anderem Weg. Wer das nicht möchte, behält es für sich oder reserviert sich einen Platz in der beschriebenen Rakete.

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(5) Kommentare

  1. Heidi Richter

    Ich finde es echt gut, dass Du das alles so erklärt und beschrieben hast.
    Dann fragt nicht jeder nach und Du bist genervt, immer wieder den Scheiß
    von Dir zu geben. Ich wäre in der nächsten Woche zu Dir gekommen und hätte das von Dir gewollt.
    Meine Gedanken waren soviel bei Dir um Dich zu stärken und immer so im Ungewissen.
    Ich denke Du hast das gespürt. Wenn man an jemanden denkt, merkt der andere das.
    Jetzt sind meine Gedanken immer noch oft bei Dir, mit Hoffnung ,Wut, Kraft und Trauer. Wenn ich irgendetwas für Dich oder Claudia tun kann, frage mich bitte. Ich werde alles versuchen Dir bzw. Claudia zu helfen.
    Wir sehen uns ✌️

    1. kaimiloa

      Danke liebes Heidi. Aber niemand macht sich Sorgen, ehe ich es erlaube. Und ich habe es nicht erlaubt 😃

  2. Simone Hörster

    Hallo Herr Höfel,
    vor kurzem habe ich Daniel getroffen, er hat mir von Ihrer Krankheit erzählt. Ich wollte/konnte es nicht glauben 😞.
    Ich wünsche Ihnen von Herzen weiterhin viel Kraft und werden Sie bitte schnell wieder Gesund. Viele liebe Grüße nach Dessau

    1. kaimiloa

      Manchmal glaube ich es auch noch nicht. Insgeheim hoffen wir ja alle, dass “so etwas” immer nur die Anderen betrifft. Denkste. Danke liebe Frau Simone.

  3. Simone Hörster

    Hallo Herr Höfel,
    ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und schnelle Genesung.
    Sie schaffen das und liebe Grüße nach Dessau.

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