17.05.2023 Entspannte Verbindlichkeit

Es ist der 09.05. und gegen 10.30 Uhr brummt mein Handy. Das erste Bild von unserem ankernden Boot von Land aus aufgenommen erscheint. “Wir sind da -smiliy-“. Der erste Teil meiner Familie hat das Hotel geentert vor dem wir ankern. “Ok, kommt erst mal an, sortiert eure Zahnbürsten und Schlüpfer ein und dann treffen wir uns am Strand”, so meine Antwort. Wir packen ein paar Sachen in einen wasserdichten Seesack, lassen unser SUP ab und paddeln hinüber. Schon von weitem winken wir, freuen uns auf das Wiedersehen. Da steht mein Neffe Christian mit seinem fünfjährigen Sohn Erik am Strand und empfängt uns. Die beiden haben wir seit 18 Monaten nicht gesehen. Christian hat sich nicht verändert, immer noch ein Baum unter den jungen Männern, Erik hingegen hat, wie bei Kindern üblich, einen “Sprung” gemacht. Umarmung, “hallo wie gehts?”. Erik wendet sich ab. Logisch, eigentlich kennt er uns ja nicht wirklich und die “Sag mal guten Tag” Erwachsenen-Regel scheint ihn zu nerven. Hihi, süß. Danach treffen wir meinen Bruder Reiner, seine Frau Petra und Christians Frau Tina mit ihrem zweiten Sprössling “Sir Henry”. Dafür, dass sie seit 01.30 Uhr auf den Beinen sind sehen alle ziemlich gut aus. Ein paar Flieger später kommen mein Neffe Karsten mit seiner Freundin Sandra und ihrem 11-monatigem Mats hinzu. Mit Kind sind sie ja nun “offiziell”, ich fürchte aber, dass sie sich allzuoft die Frage anhören müssen, was das nun eigentlich mit ihnen ist, wie ihre Lebensentwürfe aussehen und ob da eine baldige Heirat vorgesehen ist. Seid tapfer ihr beiden, Hochzeiten sind nur Opium für die Familie.

Anlass für das Familientreffen ist der runde Geburtstag von Petra. Letztes Jahr Freihand so entschieden, schnell organisiert und nun beginnt die bunte Woche. Jeder weiß, dass so etwas sehr fröhlich sein kann aber auch das Potential zu großen Katastrophen hat. Die Scheidungsrate in Deutschland steigt sprunghaft nach Urlaub und Weihnachten an. Und wir wissen alle, gerade an Weihnachten, sprich an verordneten Familienfeiern, gibt es mitunter Depressionen umsonst. Sollte etwas schief laufen kämen wir bei einem Fluchtversuch nicht besonders weit, gerade mal 200 m bis zum Boot.

Zum Glück haben wir aber nicht das Gefühl, dass jemand nicht gern hier ist. Wie es sich gehört, gibt es Bier und Fruchtcocktails ab 11.00 Uhr am Strand, die Kinder werden gecremt, mit allerlei lustigen Hüten ausgestattet und in Wolken aus liebevoller Umsorge gebettet. Es gibt viel zu erzählen, ich liebe mittlerweile diese Begegnungen. Nochmal Prost mein Bruder, Schwägerin, Neffen mit euren lieben Frauen und wirklich unanstrengenden Kindern. Irgendetwas zwickt in mir, fühlt sich nicht gut an, ich lass mal den Alkohol besser weg.

Jeden Abend besuchen wir gemeinsam eine Taverne, probieren uns durch die mehr oder weniger leckeren Gerichte die die griechische Küche zu bieten hat, landen bei einem Australier der beide Küchen raffiniert verbindet, sind teils begeistert und rollen manchmal mit den Augen. Aber immer satt, das ist die Hauptsache. Die Hotelanlage wo gewohnt wird ist wirklich gut. Nicht zu groß nicht zu klein, geräumige Zimmer mit zeitgemäßen Bädern. Es gibt eine kleine Poolanlage für die Kinder und eine große Bar für die Erwachsenen, durchweg freundliches Personal und einen lärmenden Minitraktor beim Rasen mähen. Es ist noch immer Vorsaison und das Hotel wenig besucht. Aber selbst wenn es ausgebucht sein sollte, wird es nicht übermäßig voll sein. Die Anlage kann man sich merken und weiterempfehlen. Nee, nicht weiter empfehlen, dann ist sie womöglich wieder so schnell überlaufen.

Die Tage fließen so lang hin, zu schnell wie wir empfinden. Niemand versucht mit drei Schnäpsen vor dem Abendessen zu beeindrucken, niemand zwingt uns zum Tischgebet, niemand ergattert sich Aufmerksamkeit durch Klagen, niemand versucht der Familienliebling zu sein. Fein so, das macht wirklich Spass. Abends sitzen wir in der großen Lobby der Hotelanlage, es ist empfindlich kühl draußen, drinnen gibt es Cocktails, eine piffen mit Christian und Tina, wir sind die unbelehrbaren Letzten unserer Art.

Petras Geburtstagsfeier findet ohne großen Rummel und ohne unnötigen Schnickschnack in der Hotellobby statt. Die Getränke bringt das Hotel, das Essen ein Restaurant aus der Nähe. Alle sind schick angezogen, ich hab das leider verpeilt und sitze in Jeans und T-Shirt da. Sorry liebe Petra. Aber trotzdem war es ein schöner Abend, es ist die ausgelassene, entspannte und authentische Atmosphäre die den Abend bestimmt. Funktioniert ein Familientreffen ohne Trauma? Ja.

Man hat man uns ja mit solch verknöcherten Weisheiten wie “Blut ist dicker als Wasser” gefüttert. Dem habe ich immer widersprochen und werde immer widersprechen. Gleiches Blut verschafft bei mir niemandem einen Zwangsanspruch auf bedingungslose Zugehörigkeit. Wer ein Schwerenöter, selbstverliebter Vollpfosten oder nervender Dummschwätzer*in ist, den werde ich auch so behandeln. Aber, wenn ich es vor ein paar Jahren nicht gedacht hätte, ich als Generation mit (fast) erwachsenen Kindern und als alternder Elternteil stelle fest, dass Familie doch mehr Bedeutung hat als ich vielleicht zulassen wollte. Da ist das Blut doch dicker.

Das waren großartige Tage mit euch. Nach dem Familientreffen ist vor dem Familientreffen. Hoffen wir, dass auch das nächste eine so angenehme Verbindlichkeit wird.

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