Die Schlacht ist geschlagen, der Krieg vorbei. Am 27.10.2023 verlasse ich endgültig, etwas gebückt aber nicht kaputt das Klinikum. Es werden fette Narben bleiben, die sichtbaren und die anderen.
Tod allen Zecken, es lebe der Alkohol um ihre Leichen zu konservieren.
Das Leben danach kann und wird nie wieder so sein wie vorher. Neues wird sich eröffnen, manches bleibt zurück, einiges wird sich anders anfühlen, anderes wird sich erneuern. Aber da wartet ein Leben, mein Leben. Ich habe nun Zeit vieles neu zu sortieren, neu zu erleben. So habe ich zum Beispiel schon jetzt das „zu Hause“ neu wahrgenommen. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das mal so wichtig sein wird. Klarer Therapieunterstützer, ganz unspektakulär, keine Unbekannten in der Gleichung, kein Rummel. Aber so wichtig.
„Guten Mooorgääähnn“ schallte es 9 Wochen täglich gut gelaunt und viel zu früh um 05.45 Uhr in meinen Ohren. Und dennoch: öffnete man die Tür wehte eine kostenlose Brise Mut hinein, machte man sie wieder zu, blieb oft ein bisschen gute Hoffnung im Zimmer zurück. Und das beste, ich hatte nie das Gefühl, dass das so ist weil es im Arbeitsvertrag des Klinikpersonals steht. Nein, sie sind schlichtweg so. Und manchmal hatte ich das Gefühl, ich bin nicht von Pflegefachleuten und Ärzten umgeben sondern von Verbündeten. Die machen dort jeden verdammten Tag einen großartigen Job. Und ich wette, man sagt denen das viel zu selten.
Ich bin sehr froh, die Schlacht im Klinikum Dessau geschlagen zu haben, allen aufgeregten und gutgemeinten Unkenrufen zum Trotze. Ich werde mich immer gern an meine zuverlässigen Fluchthelfer erinnern, denen ich dort begegnet bin.
Und nu? Nun erwartet mich ein dreiwöchiges Arrangement in der Besserungsanstalt Bad Suderode, Quedlinburg (Reha). Da ich nicht so genau weiß, ob ich bereit bin die drei Wochen durchzustehen nehme ich Hasi lieber mit. Ich muss gestehen, dass ich eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Unternehmung habe. Inszeniert von einer Mitarbeiterin des Klinikums, welche sich um Sozialangelegenheiten der Patienten kümmert hat das für mich einen faden Beigeschmack: nimm mit, was du kriegen kannst, kostet doch nichts, andere warten da Jahre drauf. Dann muss es was besonderes sein, oder? So hatte ich ein bisschen gehofft, dass mich dort drei Wochen Sex, Drugs and Rock’n’Roll erwarten. Fehlanzeige. Wer etwas auf sich hält, läuft im stylischen Jogginganzug herum. Trend sind camofarbene Anzüge aus der Bogner Schmiede. Regenbogenfarbene Bekenntnisse an die Neuzeit von Adidas und Co. werden auch gern präsentiert. Garniert wird das alles mit sündhaft teurem Zubehör am Fuß, der zwar drückt (auch im Portemonnaie) aber jedem anderen Insassen der Anstalt unmissverständlich zu verstehen gibt, man ist wer. Klar? Da ich in Jeans und T-Shirt auftauche werde ich praktisch nicht wahrgenommen. Allenfalls als Aufzugsmonteur oder Sportgerätereiniger.
So beginnen meine Tage ab 07.25 Uhr mit 40 Minuten Übungsgruppe Reifen- und Ballgymnastik, anschließend Einzelunterricht „Ernährung mal anders“. Vormittags bekomme ich neue Perspektiven in der Klangschalengruppe über notwendige, emotionale Freiräume vermittelt. Luft holen, Mittagspause. Nach einem kurzen Powernap wartet eine wöchentliche Verabredung mit meinem zugewiesenen, lust- und orientierungslosem Arzt auf mich, der garantiert bis heute nicht weiß, dass ich kein Herzpatient in der Anstalt war. Ich hatte selten das Gefühl so unwillkommen zu sein wie bei diesem Arzt. Mir war es peinlich krank zu sein und ihn zu belästigen.
Dann noch einen Besuch bei der Aquanautengruppe „flinke Sprotten“ im Schwimm-, äh Laufbad und es beendet der Vortrag „Lächele dir zu“ im anstaltseigenen Clubraum den Tag. Abendessen, kaputt, schlafen. Morgen gibts gleich als Erstes wieder brettharte Schmetterbälle von meiner Partnerin im Laufbad beim Luftballonwerfen auf meine Nase. Ich muss unbedingt fit sein um gegenhalten zu können. Wir besuchen alle Weihnachtsmärkte von Rang hier in der Region: Wernigerode, Goslar, Quedlinburg. Ich als bekennender Grinch finde keinen Favoriten, Claudia als bekennender Wichtel auch nicht. Jeder ist auf seine Art schön, sicher aber sind alle drei im Segment Premium anzusiedeln.
Nach 20 Tagen beendet sich meine „Maßnahme“ mit Zeugnis und Zertifikat. Fazit: eine Reha kann man machen, muss man nicht. Das empfindet sicherlich jeder anders. Einen Effekt gab es: mir geht es besser als vorher. Bleibt aber am Ende die Frage, ob dieser Zustand auch ohne Aufenthalt in der Besserungsanstalt eingetreten wäre. Ich werde es nie erfahren. Was aber unbedingt erwähnt werden muss ist das unglaublich gute Essen dort. Sollte der eine oder andere mal vor der Frage stehen, Reha oder nicht Reha, dass Essen in Bad Suderode ist auf jeden Fall ein ganz klares „Ja“. Täglich drei Gerichte, eins davon vegetarisch, eins für Fleischfresser und eins für die modernen Trendesser. Keins hat sich in den drei Wochen wiederholt und unsere Wahl war immer lecker.
Und nu? Nun muss das Schlachtfeld aufgeräumt und wieder begrünt werden. Das wird einige Monate brauchen und die Erfolge werden nicht so schnell kommen wie ich es mir wünsche. „300 bis 400 Tage“ rief mir jemand bei der Entlassung aus dem Klinikum noch hinterher. „Und nicht ungeduldig werden“. Dann saß ich bei schlechtestem Shitwetter was old G. zu bieten hat vor dem Fenster und fing an mich zu freuen. Zu freuen auf das, was da kommt. Die vergangenen 8 Monate haben ihre Spuren hinterlassen. Es gab Verzweiflung und Wut, Verzweiflung nicht zu bestehen, Wut über die ungerechte Welt. Verzweiflung an der verloren gegangenen Perspektive, Wut über den wahrscheinlichen Eigenbeitrag den ich beigesteuert habe. Und dann gab es Zuversicht. Zuversicht in die gerechte Welt die doch sehen muss, dass ich gar nicht so ein schlechter Kerl bin und die tödliche Krankheit aus Versehen nur falsch zugestellt wurde. Und es gab den Willen das Schlachtfeld lebend zu verlassen. Zuversicht dass nach jeder Nacht immer wieder ein Tag kommt und Willen, diesen gefälligst auch zu erleben. Und den danach … und den danach auch … und den nächsten dann auch …… Mein Horizont war oft bewölkt, die Realität ablehnend, Stellvertreterwahrheiten waberten als Regenwolken am Himmel. Und dann schien wieder die Sonne.
Zu Hause. Fast jeder empfing mich mit einem vorbehaltlosem Lächeln, bot mir Unterstützung an, wenn ich welche benötige. Wir wurden aufs Feinste bekocht, Rinderbäckchen mit Butterschwarzwurzel und Dessert, nicht von dieser Welt. Man(n) legte mir Werkzeug hin, bis ich wieder eigenes habe. Unglaublich. Man hörte mir immer zu, wenn ich was zu heulen hatte, schrieb Erklärungen und Rezepte. Unbezahlbar. Freunde, das meine ich mit Zu Hause.
Bin ich schlauer geworden? Nein aber erfahrener. Das ganze Leben ist eine Erfahrung und hat keinen zwangsläufigen Plan den wir nur selbst und vermeintlich kugelsicher entwerfen müssen, dann klappt alles so wie im eigenen Drehbuch vorgesehen. Man muss nicht alles verstehen aber flexibel genug sein, um mit dem Unverstandenen und Unerwarteten umgehen zu können.
Wir werden unsere Segelreise nicht weiterführen. Es hat Tränen aber auch Freude in mir. Tränen über den nun nicht zu Ende gelebten Traum, Freude auf den neuen Entwurf, der neue Erlebnisse bringen wird.
Wir fahren in diesem Moment nach Griechenland, Insel Kos, Kos Marina um im Sinne des Wortes „klar Schiff“ zu machen. Unser Kat steht nun zum Verkauf. Wir nehmen uns vier Wochen Zeit dafür, halten hier und da mal an, wo kommt der ganze Schnee plötzlich her ….