08.02.2023 Ein Jahr später

Nun sind wir fast genau seit einem Jahr an Bord. Ein Jahr, welches viele Veränderungen für uns brachte. Die Tür zum alten Leben zu, eine neue Tür auf. Was haben wir hinter uns gelassen? Ein zwar unspektakuläres Leben mit dem üblichen Frust, dem Haus mit Garten, meine Firma mit dem ganzen schönen und unschönen Rummel, mehr oder weniger erwachsenen Kindern, aber dennoch ein schönes Leben. Haben wir viel aufgegeben? Haben wir wenig aufgegeben? Ich denke beides.

Unser neues Leben beschert uns nur einen Bruchteil des Platzes, welchen wir in unserem Haus hatten. Da haben wir viel aufgegeben, müssen aber gleichzeitig erkennen, dass es uns nicht stört, mehr Platz brauchen wir nicht. Wir besitzen ja nur noch die Dinge, die wir benötigen, nicht mehr all die anderen Dinge, die es eben gibt. Manch einer wird es beim Anblick unseres Bootes nicht so recht glauben, aber wir haben tatsächlich drei Schlafzimmer mit Meerblick. Und so hat es sich im Laufe der Monate ergeben, dass jeder von uns sein eigenes Zimmer für sich beanspruchte. Ich bin eine bekennende Eule, heißt abends spät ins Bett, morgens nicht so zeitig raus. Claudia pendelt zwischen Huhn und Eule, auf jeden Fall geht sie mindestens 2 h vor mir schlafen und es war immer unangenehm für beide, wenn ich spät in der Nacht in unser Bett kletterte. Ellenbogen in ihrer Wade hier, mein Knie in ihrem Rücken dort. Da halfen auch keine Versöhnungsküsschen mehr. Wer Claudia im Schlaf stört, ist sich ihres Unmutes gewiss. Wir finden uns ja trotzdem, wenn wir uns finden wollen. So ist es gut, wie es ist. Und ich für mich habe mich ohnehin darauf gefreut, „nur“ noch ein Boot um ich zu haben, wo kein Rasen gemäht, kein Schnee geschoben und keine Grundsteuer bezahlt werden muss. Allerdings habe ich den Aufwand unterschätzt den es braucht, ein Boot flott zu halten. Es geht schlichtweg mehr kaputt als erwartet. Vorgestern erst hat sich unsere Heizung abgemeldet. 2 Tage später funktioniert alles wieder. 

Wir haben mit vielen Annehmlichkeiten gelebt, so wie es in einer westlichen Industrienation möglich ist. Es fehlte an nichts und es gab alles, wirklich alles. Da haben wir viel aufgegeben. Haben wir wirklich? Jeder von uns braucht so wenig um ein zufriedenes Leben zu führen. Der Nachbar, der falsche Freund, die Werbung gaukeln uns vor, was wir benötigen um glücklich zu sein. Und wir hören diesem Geschwafel zu, leider. Haben wir irgendwann mehr als unser Nachbar, fängt der mit uns zu streiten an. Verrückte Welt, oder? Wir leben jetzt mit viel weniger Konsum, werfen kaum etwas weg und es funktioniert. Und unsere jetzigen Nachbarn ticken ähnlich.

Wir haben gelernt, wie wertvoll Wasser ist. Bis vor einem Jahr kam es unbegrenzt aus der Wand, wann und soviel man wollte. Heute bleibt der Wasserhahn beim Zähneputzen zu. 

Wir haben gelernt, wie wertvoll Energie ist. Sei es die elektrische aus unserer Wind-/Solaranlage oder die laute und qualmende aus unserem Dieseltank. Beide versorgen uns mit nützlichem Komfort, beide sind aber endlich. 

Wir haben gelernt, wie wertvoll Nahrung ist. Als wir über die Jahresendberammlung in old G. waren haben wir nicht gegessen, wir haben gefressen. Wir sind so oft so gut bewirtet und bekocht worden, das war weltmeisterlich. Einen dicken Dankeschön-Knutsch an all unsere Gastgeber für 1,5 qm deutsches Brot mit Wurst, Käse & Co., für Chili Con Carne am Käseturm, für die größte Kohlroulade die jemals vor uns dampfte, für Filet begraben unter Pilzen und ertränkt in Sahne und für das beste Rotkohl-Klöße-Rouladen-Match aller Zeiten. 

Wir lebten in einer sehr lauten und hellen Welt, niemals schlafend, pulsierend, immer ON. Da haben wir wenig aufgegeben. Wir entdeckten für uns Stille, Sternenhimmel zum Niederknien und faszinierende Lichtexplosionen im dunklen Meer. 

Wir lebten mit unseren Familien, vielen Freunden, viel Austausch und ständigen Begegnungen. Da haben wir so viel aufgegeben, manchmal denke ich zu viel. Es ist sehr mühselig sich an dieses, neue Leben zu gewöhnen ohne die gewohnte Nähe zu anderen. Es erfordert sehr viel Geduld und sehr viel Überwindung sich damit abzufinden, dass wir/ihr nicht mehr in Rufweite sind/seid. Da fehlt ein wichtiger Teil in unserem Leben. 

Wir lebten in einem Leben mit wenig Überraschungen, das sprichwörtliche Hamsterrad. Jeder hat sich in schlaflosen Nächten schon oft die Frage gestellt: „kommt da noch etwas oder bleibt das für immer so?“. Wir hatten gute aber anstrengende Jobs, wir hatten Verantwortung, Stress, Erfolge und Misserfolge. Und fünf mal pro Woche beendete viel zu früh ein lärmendes Ungeheuer unseren Schlaf. Da haben wir wenig aufgegeben. Wir leben mit viel Staunen in einer Quelle von Entdeckungen, neuen Erfahrungen und Erlebnissen. Das erfordert manchmal mehr Mut als man hat, mehr Mumm als die Muckis hergeben und mehr Geduld als man bereit ist zu haben. Aber es lohnt sich. Nach Stunden auf See in einem schlecht gelaunten Meer ist das Ankommen unbezahlbar. Nach durchsegelter Nacht ist die aufgehende Sonne das Beste was es in diesem Moment gibt. Schniefende Meeresschildkröten am Ankerplatz, wow, wow. Das lärmende Ungeheuer Wecker haben wir zwischen Sardinien und Italien an einer gaaaaaaaaanz tiefen Stelle über Bord geworfen. Manchmal vergessen wir leider, wie erfüllt dieses Leben ist und müssen uns bewusst daran erinnern. 

Freunde, es war die richtige Entscheidung die eine Tür zu schließen und eine andere zu öffnen, ohne richtige Ahnung was einen erwartet. Am Ende hat die Hochglanzpostkarte vom seichtsinnigen, immer fröhlichen um die Welt segeln zwar an Glanz eingebüßt, aber sie ist dennoch schön. Sehr schön.

Und meine beste Entscheidung war, mich auf die Knie zu begeben und Claudia zu fragen, ob sie sich vorstellen könnte, mich für länger an ihrer Seite zu haben. Was bin ich froh, dass sie auf mich rein gefallen ist. Es funzt, jeden Tag aufs neue. Wäre das nicht so, wäre unsere Reise schon beendet. 

So machen wir hier Pause bis das Wetter wieder besser wird und machen uns dann erneut auf den Weg. Wohin? Na dahin. 

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(1) Kommentar

  1. Justus

    Super schöner Kommentar. Freue mich so sehr für Euch Beide.
    Gruß Justus

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