Das sind die Worte, die mir seit zwei Dekaden durch das Hirn wabern, nachdem ich Thomas für eine gemeinsamen Törn begeistern wollte. Kurz vorher waren wir mit drei Booten gemeinsam, jeder auf seinem Schiff, in den Kykladen 14 Tage unterwegs.
Ich sitze im Flieger und genieße den Flug nach Olbia – nur noch wenige Minuten bis zur Landung der Maschine. Der Hafen ist in Sichtweite, Kaimiloa kann ich nicht sehen. Im Gepäck: „Heidruns“ neues Ruder und das von mir konfigurierte AIS (Automatic Identification System)
Gebucht habe ich nur den Hinflug, wo das Ende der Reise ist, steht in den Sternen.
Wer bin ich eigentlich:
Michel – mit zwei Kindheitsträumen: segeln und fliegen (beide geboren aus der Motivation aus der DDR zu entkommen). 1999 war meine ersten Segeltour über 371 sm als Co-Skipper und im Jahr darauf ein Törn, der uns ebenfalls durch die Kykladen führte, diesmal als Skipper.
Diese Tour war auch die erste, die ich gemeinsam mit Thomas (Skipper auf einem KAT) und einem weiteren Segelboot in den Kykladen verbrachte. Wettervorhersage gab es einmal täglich für ein gesamtes Seegebiet, die Navigation erfolgte komplette auf Karten, mit Peilkompass, Bleistift, Winkelmesser und zwei Dreiecken. Es gab auch schon die ersten Hand-GPS-Geräte, die ich aber nur nutzen wollte, wenn ich total verloren war.
Seit dem ersten Törn sind 23 Jahre vergangen, in denen ich mehrere tausend Seemeilen auf Booten als Skipper verbrachte. Faktisch jährlich zwischen zwei und vier Wochen, in denen ich ca. 200 sm pro Woche absegelte. Fast ausschließlich auf der Ostsee und in Griechenland – in den letzten Jahren vorzugsweise im Ionischen Meer das sich grob von Korfu bis Zakynthos erstreckt.
Seitdem Claudia und Thomas zu Ihrem Abenteuer aufgebrochen sind, versuche ich die beiden „fernelektrisch“ zu unterstützen, habe das Drama der ersten Segelpassage mit durchlebt und Thomas, so gut es aus der Ferne geht, so oft wie möglich Wetterberichte geschickt und den einen oder anderen Rat ohne Aufforderung gegeben (ich weiß, Klugscheisser kann keiner leiden). Zum ersten Unglück kam in dieser Passage auch noch der schlechteste Faktor, den man haben kann: Zeitdruck, der ihre Lage nicht verbesserte.
Ende Mai, in einem Telefonat fragte ich Thomas, ob ich ihn irgendwie mit meiner Anwesenheit an Bord unterstützen könnte und bekam vor dem Ende der Frage schon ein „Ja, bitte!“ – Hmmm, mal sehen, ob das was wird.
Nun galt es den nicht vorhanden und schon gar nicht geplanten Urlaub schnellstmöglich zwischen all die anderen Termine zu quetschen, einen Flug zu organisieren und die angefangenen Projekte abzuschließen.
Das AIS und das Ruder von Heidrun, die Thomas zu mir schicken lies, waren bei mir angekommen und lagen reisebereit im Flur. Die Nacht vorm Flug schnell noch durchgemacht, um möglichst wenig offene Aufgaben liegen zu haben – und wenn man schon bis 1:30 Uhr arbeitet, kann man auch gleich wach bleiben, um gegen 0300 vollkommen übermüdet zum Flughafen BER zu fahren.
Seit unserem Telefonat ging mir immer wieder dieser Satz* durch den Kopf. Klar ist, ich bin kein Teamplayer. Kann ich mich überhaupt zurücknehmen und mal nicht „Bestimmer“ sein? Mal sehen, ob die Woche ein Erfolg oder eine Katastrophe wird.
Mit einer halben Stunde Verspätung und einer butterweichen Landung beginnt nun unsere gemeinsame Segelwoche.
Handy raus und losgelegt:
M: „bin gelandet.“
T: „sind gleich am Flughafen, 2 Minuten“
Bis das Gepäck entladen ist und ich alles zusammengesammelt habe vergeht die Zeit wie immer schleppend. Ich „hummel“. Claudia und Thomas wollen mich abholen und warten schon in der Halle!
Nö.
Naja, dann bestimmt vor dem Gebäude…
Nö.
Plötzlich zwei bekannte Stimmen hinter mir – während ich raus aus dem Flughafen gegangen bin, sind die beiden in einen anderen Eingang hineingegangen – ich suche draußen nach ihnen, sie drinnen nach mir – GEILER START!
Dann geht alles ganz schnell: mit dem Taxi eine kurze Fahrt zum Hafen. Meinen Koffer auf’s Boot geladen, die Fahrräder drauf: es kann losgehen. Die Hitze ist unerträglich, das Boot liegt an einer vollkommen schmucklosen Betonmauer, der Wind drückt KAIMILOA weg vom Kai.
Jetzt kommt der beste Part des Tages: einfach aufsteigen, Leinen lösen und der stickigen Stadt entfliehen. Kein Übergabestress, keine ewigen Wartezeiten auf eine Reinigungsfirma, kein Papierkram, kein Einkauf im Supermarkt, kein „wo müssen wir eigentlich hin“. Herrlich!

Thomas legt ab, wir fahren unter Motor aus dem Hafen, haben Gegenwind und eine komfortable Fahrrinne, auf deren Seiten hunderte Bojen sich dicht drängen. Wir vermuten eine Muschelfarm. Nach kurzer Fahrt: Kurswechsel und das Vorsegel gesetzt. Schon rauschen wir mit 7kn Geschwindigkeit los.
Wenig später sind wir in einer herrlichen, riesigen Bucht, in der wir unseren Anker werfen. Tiefe 5 Meter – kurz überschlagen 5*4 (Faustregel Wassertiefe mal 4 ist gleich Kettenlänge) – also 20 Meter sind ausreichend.
Thomas steckt 50 Meter Kette. Ein großes Fragezeichen in meinem Kopf. Regel Nummer eins: „Thomas ist Skipper, Thomas bestimmt! Demokratie endet an der Kaimauer.“ Als Leser seiner tollen Fahrtenberichte kenne ich den Grund. Aber was soll schon hier passieren?
Immer wieder kommt eine heftige Böe über Land, dann ist es wieder still. Blick in die Wettervorhersage: Wind wird mehr, wird sich drehen, Morgen wieder weniger, das sollte klappen.
Wenig später kommen zwei Yachten eingelaufen und legen sich direkt vor und neben uns. (Ja das sieht immer nahe aus, aber alle Schiffe schwojen mehr oder weniger im Einklang gleichmäßig. Bei halbwegs gleicher Kettenlänge ist der Abstand auch immer gleich.) * kurzer Gedankeneintrag für mich: „nimm doch einfach das nächste Mal beim Segeln einen Laserentfernungsmesser mit, dann kannst du alles schön vermessen und brauchst deinen Augen nicht vertrauen.“ Warum bin ich da noch nicht vorher drauf gekommen, immer wieder verschätze ich mich.
Thomas wird es zu viel, eine riesige Bucht und alle Boote drängen sich an einer Stelle – er lässt den Anker lichten und nutzt den enormen Vorteil der Kaimiloa – 90 cm tief ragen die Rümpfe ins Wasser hinein. Da kommt kein Segelboot hinterher. Der Vorteil eines Kats ist zudem, dass er zwei Steuersände hat mit jeweils einem Tiefenmesser und eine Geschwindigkeitslogge. Diese sind hier nur auf Halterungen gesteckt und werden so angebaut, wie es sinnvoll erscheint. Die beiden Tiefenmesser zeigen aber unterschiedliche Tiefen an. Kurze Erklärung von Thomas: einer mit Wassertiefe von der Oberfläche, der andere Wassertiefe unter Kiel plus „Sicherheit“.
Wir ankern in seichterem Wasser, wieder mit 50 Meter Kette.
Dann kommt die Entspannung: Thomas meint: wir machen jetzt erst mal Ferien! Es gibt leckeres Essen und natürlich schnattern wir über alle mögliche Dinge, die am Telefon zu kurz kommen. Ich richte mir mein neues „Zuhause“ ein und melde mich zum kurzen Mittagsschlaf ab.
Zack: 16 Stunden später werde ich wach und bin todmüde.
Feststellung: Der Wind pfeift wie verrückt, das Boot schaukeln sanft in den Wellen, aber es gibt überhaupt kein schwollen, kein rollen und kippeln – echt großartig, so gut habe ich noch nie bei Seegang geschlafen – warum bin ich eigentlich wach geworden?!
Kurze Blick nach draußen: Hui! Der Wind hat um 180 Grad gedreht, ordentlicher Schwell ist in der Bucht. Meine beiden Gastgeber sitzen bei Kaffee in der Plicht und verhalten sich mucksmäuschenstill – schließlich soll ich ja schlafen. Sie berichten, dass bei einem der Boote sich offensichtlich der Anker gelöst hatte, die Crew es nicht merkte und eine andere Crew mit dem Schlauchboot die Segler weckte, die das Schlimmste aus eigener Kraft verhindern konnten.
Hatten die wie ich die Ankerkettenlänge berechnet? Was ist da wohl schief gelaufen? Bisher wurde ich mit jeder Segeltour entspannter beim Ankern. Bin ich in den ersten Jahren noch bei jedem Geräusch aus der Koje gesprungen und habe eine Kreuzpeilung gemacht, um den Standort des Bootes zu bestimmen, war dies einem Grundvertrauen „wenn der Anker mal „gebissen“ hat, dann hält er auch“ gewichen.
Es ist 14:00 Uhr, es gibt Morgenkaffee und Schnittchen – herrlicher Service aus dem Hause Höfel. Keine Ahnung, wie die Beiden das ohne klappern hinbekommen haben. Ich genieße den Komfort und bin schlagartig „hibbelig“: Wind, Segelboot, Ferien – für mich bedeutet das SEGELN! Egal wohin, Hauptsache in Bewegung wenn der Wind weht wird gesegelt… Auch wenns nur auf der Stelle ist… In mir schreit es nach SEGELN!
Natürlich tue ich das sofort kund, aber mein Rentnerehepaar holt mich runter: „Lass uns heute einfach Urlaub machen, der Wind kommt aus der „falschen Richtung“ und ist auch viel zu stark, die Wellen zu hoch, es gibt keinen Grund zu hetzen“.
DOCH! Kurz im Kopf ohne Taschenrechner überschlagen : 7-1-1= nur noch 5 Tage zum segeln! Auch wenn sie Recht haben… ICH WILL! Aber ich bin ja auch noch ein wenig müde und habe mir vorgenommen, endlich mal wieder meine Nase in Bücher zu stecken. So vergeht der Tag zwischen lesen und dahindämmern, schnattern und schlafen wie im Fluge.
VERDAMMT, ich bin doch immer unter Vollgas unterwegs, diese Gammelei bringt mich echt runter. Abends bin ich auch nur noch ganz wenig müde. Zum schlafen reicht es locker.
Neben den banalen Dingen und der allgemeinen Weltpolitik, nehmen wir uns die Zeit die Frage zu klären:
Was will Thomas, was will ich in den paar Tagen?
Thomas möchte Verantwortung abgeben und wünscht sich, dass Claudia mutiger wird und sich auch mal „Dinge“ zutraut. Er will zudem, dass ich schonungslos darüber berichte. Ich wünsche mir eine Lange Strecke über Nacht zu fahren.
In all den Segeljahren habe ich es mir einfach nicht getraut. Am liebsten zum Stromboli, der ist über 400 sm entfernt, eine Strecke, die ich sonst in zwei Wochen schaffe.
Gut, das ist schon mal geklärt.
- Tag
Blick in „WINDY“. Bisher hatten die Vorhersagen gestimmt. Dummerweise hält sich aber der Wind nicht zwingend an die Vorhersagen. Dazu kommt, dass wir in einer Bucht zwischen zwei Inseln ankern und sich genau hier eine „Düse“ bildet. Sehr schön im Graphen der Vorhersage zu sehen.
ICH: Draußen sind „nur“ noch 25kn Wind aus Nord. Da wir nach Osten wollen sind das PERFEKTE BEDINGUNGEN – Halbwindkurs, knackige 5-6 Beaufort – BESTES SEGELWETTER! Wellenhöhe – ach, egal, das wird schon irgendwie, dann eben halb gegenan! Da sich der Wind im Bogen ausbreitet, später Rückenwind, das schaffen wir zum Stromboli, wenn wir jetzt ohne schulhaftes zögern starten.

Thomas wischt all meinen Enthusiasmus mit einer Handbewegung weg. Nö!
Das mag alles bei einer Yacht so sein, beim KAT bedeutet Halbwindkurs, dass die Wellen quer zum Rumpf durchlaufen und der KAT sich wie ein rollendes Boot verhält, nur noch doofer und irgendwie „eckig“. Halbwindkurse sind die schnellsten, aber auch die unbequemsten Kurse auf einem KAT, Gegen den Wind zu fahren ist auch nicht so schön. Da Zweirumpfboote sehr schnell an Fahrt aufnehmen und dadurch mehr „Gegenwind“ erzeugen, können diese konstruktionsbedingt nicht sehr viel Höhe fahren…
Ich habe ja schon begriffen, dass die beiden relaxt sind – ich drehe fast durch.
Nebenbei ist es vollkommen entspannt an Bord, die Beiden sitzen zusammen, lesen, machen sauber, fummeln hier, fummeln da – lächeln sich an, Küsschen hier, Küsschen da.
Puhhhhh – seit drei Tagen liegen wir in der selben Bucht. Mir kommen Zweifel, ob ich beim Träumen von so einem Leben an diese Konsequenz gedacht habe: ISOLATION. So traumhaft es erscheint, so einsam ist es auf einem Boot auch. Irgendwann ist das Leben auf 20 Quadratmeter eingeschränkt. Die Sonne scheint durch eine leichte Wolkendecke, diffuses Licht. Zu „kalt“ zum baden, zu unruhig die See.
Ich spreche mit Thomas darüber und muss feststellen, dass es wirklich einsam beim segeln ist. Es scheint keine „Seglergemeinschaft“ zu geben, oder die beiden haben noch nicht die richtige gefunden.
Morgen soll sich das Wetter beruhigen. Morgen soll’s losgehen! ENDLICH! (7-1-1-1). Aber ganz nebenbei bin ich noch ein wenig müde. Nachts komme ich auf 12 Stunden – am Tag der Schlaf zählt nicht!

- Tag
Heute stimmt alles! Wenig Wind, aus der „richtigen“ Richtung, die Wellen werden sich schon abbauen. Heute gehts los!
Aber erst mal ein Kaffee, eine Zigarette, einen Kaffee, noch mal nachdenken, vielleicht noch eine paffen…

Dann, etwas ungeheuerliches: Wir starten die Motoren, liften den Anker – ich soll den KAT manövrieren – Schluck. Vielleicht doch zu viel Wind dafür. Ach, los, rückwärts marsch! Wenn die Ruder erst mal eingeströmt werden, „Handbremswendung“, Vorwärtsgang, dann ist alles gut. Also bei einer Yacht wäre das genau so… Thomas und Claudia fummeln am Anker und ich treibe Rückwärts in Richtung Ufer – Gedankenblitz (bei Youtube haben die gesagt, dass die Anströmung beim KAT nicht funktioniert) vorsichtig Steuerbordmotor vorwärts, Backbordmotor rückwärts – warum kommt das Ufer immer noch näher?!
Schon ist Thomas mit langen Schritte ran und knall den Hebel auf den Tisch! KAIMILOA dreht auf der Stelle, wie im Bilderbuch. Thomas winkt ab und meint: „Das können die Motoren ab!“
Danke! Puh, wieder was gelernt.
Die Ansteuertonne der Bucht lassen wir rechts liegen, dann sind wir in tieferem Gewässer. Letzte Nacht hatten wir eine elektronische Ankerwache auf dem Telefon eingerichtet, die auch alarmiert, wenn das Boot sich von der Stelle bewegt.
Irgend etwas piept hier wie Sau. Habe ich vergessen die Ankerwache auszustellen?
Nö.
Egal, Konzentration, weiter auf Kurs – wieder dieses Piepen – Wassertiefe?
Nö.
Motor Zündung an, Motor aus – Nö, das wäre viel lauter.
Piepen aus.
Wer weiß, war bestimmt…
Piep, piep, piep…
Einer am Steuer, zwei versuchen neben all den anderen Geräuschen das Piepen zu orten.
Ruhe.
Piep, piep, piep…
Ruhe.
Ratlose Blicke.
Piep, piep, piep…
Tataaaaa! Das Androidtablett piept – aber warum?
Jippi, das AIS arbeitet, zeigt mehr als 50 Dreiecke an, manche rot, manche grün, andere sind grau und durchgekreuzt. Ruckzuck, also gefühlte Dekaden später, verstehen wir: rote Dreiecke sind Boote auf Kollisionskurs, Grüne sind Boote, die uns nichts mehr tun können, sich aber in der unmittelbaren Umgebung befinden, graue Boote mit X sind ungefährlich. Da direkt auf unserer Kurslinie eine Regatta stattfindet, wird jetzt auch klar, warum die Software des AIS uns warnt – wenn auch nervig, aber es beruhigt ungemein, wenn die Radiotechnik unsichtbare Dinge vorher sieht und warnt. Im jetzigen Augenblick nervig, daher wird die Warnung kurzerhand abgeschaltet. Es ist beste Sicht, der Wind geht noch. Vier Stunden später ist immer noch super Handyempfang. Wir sind ja erst 40 km von Sardinen weg.

Habe ich da gerade im Augenwinkel einen Reflex gesehen? Ich springe hoch, greife den Fotoapparat und renne zum Bug. Auf die erschrocken Frage von Claudia, was los sei, bekomme ich ein Wort raus: eine große Schule von Tümmlern schwimmen mit uns, springen aus dem Wasser, huschen von Kufe zu Kufe, lassen sich zurückfallen, sprinten voraus, drehen ab, kommen wieder.
Ich habe schon öfter Delfine gesehen, auch mal am Boot. Aber nie länger als 1-2 Minuten.
Diese Truppe ist eine gefühlte Ewigkeit bei uns. Manche drehen sich auf die Seite und schauen nach oben. Unsere Mundwinkel bilden eine Einheit mit den Ohren. So schnell wie sie da waren, drehen die Flipper ab und wir haben einen Grund zu schnattern und uns gegenseitig zu versichern, was für ein Glück wir doch im Leben haben!
Der Wind kommt prinzipiell aus der richtigen Richtung, hat aber so absolut keine Lust mehr „richtig“ zu blasen. Unsere Chance das funkelnigelnagelneue Parasailersegel aus dem Sack zu befreien und zu testen.
Leinen werden ausgelegt, Knoten geknotet – hm, wie war das noch mal? Handbuch ist im Internet (das immer noch geht).
Die Luft knistert vor Anspannung – jetzt! Ach nein, unsere Videodokumentation muss ja erst noch initialisiert werden. Also jetzt! Die Spannung steigt: Nein! – die Sicherheitsleinen vergessen zu lösen, verdammt, aber nun: mit einem knisternden Plopp entfaltet sich das Segel und steht wie eine Eins im Wind. GEIL!
Nur zu Sicherheit packen wir es schnell wieder ein, um es erneut zu öffnen. Das läuft ja wie geschmiert. Ich bin begeistert! Super leicht lässt sich das Segel bergen und wieder setzen. Das beruhigt uns alle. Ich bin immer wieder beeindruckt wie cool und selbstverständlich Claudia die verschiedenen Situationen erkennt, das Boot steuert und notwendigen Handgriffe erledigt.

Jetzt wollen wir es aber wissen – das volle Programm! Autopilot aus, Heidrun an.
Heidrun einstellen – fuck, was macht das Boot…. Uiiiiii, das Segel!!!!
Genau in diesem Augenblick kommt die „Thomasexplosion“ – im falschen Augenblick, der falsche Ton, die richtigen Worte. Die zweite an diesem Tag.
Claudia versucht sich unsichtbar zu machen. Ich halte das als „Alphatierchen“ aus, schlucke aber die Worte lieber runter, die ihm an den Kopf knallen will. Thomas fummelt, bekommt mit, dass es nicht so einfach ist Heidrun in dieser Konfiguration einzustellen und ist wieder lammfromm.
In einer ruhigen Minute konfrontiere ich Thomas mit der Situation aus Sicht des Beobachters: „die Beiden sind Tag und Nacht zusammen, reden aber im entscheiden Augenblick zu wenig, Claudia kennt alle Handgriffe an Bord, ist aber (logischerweise) noch unsicher.
„Das habe ich schon X-mal erklärt!“ Wie oft? Also definitiv zu selten 😉 – ständige Wiederholung macht sicher und stärkt das Erlernte.
Der Wind ist beleidigt und stellt das Blasen fast vollständig ein. Heidrun bekommt endgültig frei, das Parasail wird schweren Herzens verpackt.
Keine anderen Boote in Sicht, die tummeln sich mehr in der Nähe des Landes. Meine Herzfrequenz sinkt wieder auf eine angenehme Chillex-Frequenz ab, es wird ruhiger. Bis Thomas in den Rümpfen rumpelt und mit einer Angel an Deck erscheint. Soll er doch – das wird sowieso nix. Das Mittelmehr ist eine reine Wüste mit Plastiktüten – habe ich schon tausend mal probiert…
Thomas erklärt, wie der „Wobbler“ funktioniert – egal, tut ja nicht weh – wird sowieso nichts. Wer soll schon in 6 Meter Wassertiefe im Ozean auf einen Köder beißen. Seit geraumer Zeit ist der Wind eingeschlafen und so nutzen wir unwiederbringliche fossile Rohstoffe und heizen das Duschwasser auf. Nebenbei dreht ein Motor mit Hilfe der überschüssigen Bewegungsenergie mit 2800 Umdrehungen und bringt uns voran. Ich suche immer noch einen bequemen Platz zum lümmeln. Irgendwie finde ich keinen Platz, der bequem und sonnengeschützt ist.
Thomas wirft den Blinker ins Meer, knotet irgendwie die Angel ans Boot, ich mach mir eine gedankliche Bauzeichnung für „Angelhalterung am Heck mit Sicherung“, die Lider senken sich langsam, um den Bauplan zu „verinnerlichen“ – PENG! Angel krumm. Motor aus. Thomas entknotet die Angel und fängt an zu drillen.
Soll er doch, wird sowieso nichts. Bestimmt eine Plastiktüte. Gähn. Ich wusste gar nicht wie lange man so drillen kann. Ziehen, drillen, ziehen, drillen. Kurze Zeit später wissen wir: es war eine weiße Plastiktüte.
Motor an, 2800 Umdrehungen, Angel frei, Blinker ins Wasser. Angeln ist schon eine aufregendes Hobby. Kurze Kontrolle: 2800U/min, 6,5 kn Fahrt, Kurs stimmt. Rundumblick: kein Boot in der Nähe, Blick aufs AIS – da sind irgendwo am Horizont Schiffe, Alarm ist eingeschaltet…
Welchen Platz habe ich noch nicht auf eine bequeme Sitzschlafposition untersucht? – PENG! Aber diesmal richtig, nicht so langweilig wie vorhin. Das ist ganz sicher ein Fisch (hoffentlich nicht Flipper).
Gang raus, Motor aus – naja, wird ne Sprotte sein, was sonst?!
Unglaublich wie lang so eine Angelleine sein kann. Thomas (der alte Mann und das Meer) kämpft definitiv. Der Fisch auch – bei ihm gehts immerhin ums Leben! Ziehen, drillen, loslassen – Angeln ist dann doch nicht so langweilig, wie ich immer denke. Irgendwann, eine gefühlte Ewigkeit später, sehen wir einen Schatten im kristallklaren Meer. Das ist definitiv kein Hering oder kleiner Barsch! Jagdfieber ist zu spüren.
Um den Fisch an Bord zu heben bastel ich den Kescher zusammen, der in einer Kiste auf seinen Einsatz wartet. Ich soll den Fisch mit dem Kescher heraus holen. Dummerweise passt nicht mal der Kopf in den doch recht großen Kescher.
Am Ende greift Thomas in die Kiemen und zerrt den Thunfisch an Deck – was für ein riesiger Fisch!
Drei Trophäenbilder später beginnt das blutige Fest.
Für unser Liebespaar gibt es am Abend kurzfristig Thunfischsteak, für mich andere lecker Sachen.
Die Sonne geht langsam unter. Das Telefon hat schon lange keinen Empfang mehr, also schnell noch mal ein paar Bilder vom Sonnenuntergang geknipst, damit ich die morgen auf meinen „Angeberstatus“ stellen kann – schließlich muss die Welt wissen, wie geil mein Leben ist!

Wir einigen uns auf einen Wach-Rhythmus: Thomas & Claudia bis 0300 – ich danach bis zum Sonnenaufgang.
Das gefällt mir gut! Der Tag war so aufregend, ich geh mal schlafen. Die beiden brutzeln Fisch und lesen Bücher, machen halt so Dinge, die man so macht.
0100 – die See ist ruhig, der Motor brummt, ich bin wach!
Wenn ich wach bin, dann kann ich auch die Wache sofort übernehmen. Gerne übergeben die Beiden mir die Verantwortung für das Boot. Claudia hat das Radar eingestellt und erklärt mir jedes Detail – ich habe mich innerlich schon davon verabschiedet und höre zu. Claudia kennt jeden Knopf, weiß wo man drehen muss, was man wie einstellt. Ich schalte auf zerebrales Hirn um, nicke und hoffe bei Pausen, das es keine Frage war.
Claudia verabschiedet sich, geht schlafen. Thomas ist noch unentspannt, kann nicht wirklich loslassen. Fummelt am Kurs, am AIS, am Kurs…
Ich genieße die Dunkelheit. Das letzte Mal, dass ich so einen Himmel ohne Lichtverschutzung gesehen habe, war 1994 im Basislager des Everest bei 30 Grand minus. Hier sind 24 Grad Plus, das einzige Licht geht vom Boot aus und von den Trilliarden von Sternen. Die See ist ruhig. Die Campingstühle, die wirklich einzigen bequemen Sitzgelegenheiten an Bord, stehen perfekt zusammengestellt. Beine hochgelegt – meine Nachtschicht beginnt. Ab und zu schalte ich alle Lichter an Bord aus und freue mich über des Sternenmeer über mir und die Lichtexplosionen hinter dem Boot im Wasser. Ab und zu nehme ich meinen Feldstecher und schaue in den Himmel. Unfassbar!
Aller 20 Minuten einen Rundblick, kurzer Vergleich mit dem AIS (ich liebe diese Erfindung, weiß aber auch, dass es durchaus Boote ohne diesen Segen der Technik gibt) und schaue noch mal nach ungewöhnlich hellen und bunten Lichtern am Horizont.
Thomas träumt sein Buch weiter – bis in die Koje hat er sich dann doch nicht getraut.
Ich lese, wache, staune die Nacht hindurch. Es ist Mittsommer und die Dunkelheit dauert nicht all zu lang. Schon zeitig zeichnet sich am Horizont ein heller Streifen an, der irgendwann zur Morgenröte wird, bevor die Sonne den Horizont überschreitet und wieder unbarmherzig auf den Ozean scheint.
Meine Mundwinkel treffen sich am Hinterkopf – was für ein Erlebnis. Was haben wir doch für ein Glück im Leben!
Apropos Glück: wir haben immer Frischwasser für Kaffee und zum Duschen. Ich habe keine Ahnung, wo das Essen gebunkert ist, weil immer etwas essbares auf einem Teller im Hotel KAIMILOA steht. Naja, die Thunfischsteaks, die auch draußen stehen, riechen jetzt nach Fisch, die bekommt bestimmt Neptun demnächst. Immerhin weiß ich wo die Süßigkeiten und die Nüsse gebunkert werden. Das reicht.
Ich bin ein wenig stolz auf mich: ich habe immerhin 6 Stunden am Stück nicht geschlafen! Trotz der riesigen Wasserfläche kreuzen ganz schön viele Schiffe ziemlich schnell unseren Weg.
Das Hotelpersonal erwacht langsam am Morgen und bereitet das Frühstück vor. Der Blick auf die Karte ist ernüchternd. Irgendwie kommen wir nicht vom Fleck. 6.5 kn * 2 – 20% = sind mal eben 10 km/h – also langsames Fahrradfahren. Immer noch ist nur Horizont zu sehen. Nach 24 Stunden fahrt
Da bewahrheitet sich der Spruch: „Segeln ist die teuerste, unbequemste und langsamste Art des Reisens, aber mit Abstand die schönste!“
Nach geschlagenen 33 Stunden erreichen wir Gaetha, eine Kleinstadt wie in einem Italienroman, oder das was ich mir unter einer italienischen Stadt vorstelle: Kirchen, enge Gassen, freundliche Menschen, die sich am Abend hübsch anziehen, um essen zu gehen. Viele kleine Restaurants und eine Gelateria, die den Namen verdient.
Mir fällt auf, dass Thomas sich mit dem KAT „irgendwo“ halbwegs windgeschützt zum Ankern hinlegt, dass er möglichst die ganze Ankerkette im Hafenbecken versenkt und dass er seine „Aktionen“ vorher mit Claudia bespricht. *GRINS*
Mit der Suche nach leckeren Restaurants hat er nicht so viel Glück – aber das ist immer reines Glücksspiel.
Die Nacht ist ruhig, dank eines Gemüsehändlers, den wir gestern beim Spaziergang gefunden hatten, gibt es leckersten Mozzarella und intensiv riechende Tomaten, die als Blumenstrauß zum Frühstück gereicht werden.
40 Seemeilen nach dem opulenten Frühstück liegen wir vor Neapel. Diese bunt schimmernde Perle an der italienischen Küste riecht ein wenig wie die Muschel, aus der die Perle entstammte.
Der Ankergrund ist da. Also Prinzipiell schon. Andere Yachten, alle ein paar Millionen Euro teurer als KAIMILOA liegen vor Anker. Wir pflügen den Untergrund durch, um unseren Anker „sicher“ zu verankern. Nach dem 7. Versuch höre ich auf zu zählen. Thomas ist echt ein „gebranntes Kind“, was das Ankern betrifft.
Ich denke so bei mir: „Entweder ziehen die beiden Maschinen im Vollgas einfach den Anker aus dem Untergrund, oder der Anker ist kacke, oder der Untergrund ist doof…“ und während ich so in meinen Tagträumen schwelge, die beiden die Ankerkette aus- und wieder einfahren – gefühlt immer an der selben Stelle, beißt der Anker endlich an. Meine Gastgeber sind zufrieden – ich sowieso.
Im Vorfeld hatte Thomas versucht einen Hafenplatz zu organisieren, was aber auf Grund der Größe schier aussichtslos erschein. Millionenteure Yachten haben Platz, ein im Gegensatz zu deren Ausmaßen kleiner KAT auf keinen Fall. So befülle ich wieder eine Schublade in meiner Vorurteilskiste und organisiere meinen Rückflug.
Mist! 7-1-1-1-1-1-1
Über Neapel hat Tomas schon berichtet. So verbringen wir den Abend vor Neapel in bester Unterhaltung von allen Seiten entertaint. Ich stopfe meine Habseligkeiten in meine Blechkiste und schlummere den Schlaf der Gerechten.
Claudia und Thomas haben mich mit dem „Faltboot“ an den Strand gefahren und verabschiedet.
Am Morgen 0600 sehe ich auf der Uferpromenade, lasse einen letzten Blick über die Bucht von Neapel schweifen um in ein Taxi zum Flugplatz zu steigen.
In drei Tagen „muss“ ich mit meiner Geliebten nach Barcelona fliegen, aber das ist eine andere Geschichte.
Fazit:
Eine Woche segeln mit T&C sind definitiv zu kurz!
Nach einer Woche im „Dauerkoma“, bin ich tatsächlich ausgeschlafen.
Ich muss „chilliger“ werden, wenn ich noch einmal mit den beiden unterwegs sein möchte – sie haben nicht den Wochenstress des Pauschalurlaubers und leben das auch aus.
Bin ich mir sicher, dass ich mal meinen „Lebensabend“ auf einem Boot verbringen möchte? Das ist eine ungeklärte Denkaufgabe für später, weil Segeln scheinbar eine Art der Selbstisolation ist: Geil aber einsam!
Ich würde gerne immer wieder spontan mit den Beiden meine Zeit verbringen, gerne auch länger.
IMMER WIEDER GERNE.
Wir auch. Immer wieder gerne
Ja Ihr Lieben, ich folge Euch gerne 🥰
Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel 😉