Kommt her und seht es euch an. Sardinien ist ein Ort, den man nicht wieder verlassen will, egal in welchem Teil der Insel man sich befindet. Wir liegen immer noch in Porto Conte/Maristella vor Anker, freuen uns jeden Morgen über das Gegacker der Möwen, über die wärmenden Sonnenstrahlen, das kristallklare Wasser. Manchmal ist das Wasser so spiegelglatt, dass man glaubt über dem Meeresboden zu schweben, unter uns tummeln sich unzählige Fische, jede Kontur des Bodens ist deutlich zu erkennen, alles wirkt friedlich. Und dann fällt die Badeleiter mit einem lauten „Platsch“ ins Wasser und der Schwebezustand ist jäh vorbei. Morgendliches Baden hat sich mittlerweile bei uns zum ersten Highlight des Tages etabliert. Ohne Umweg, aus dem Bett direkt ins Wasser. Besser geht es nicht. Erst danach dampft der erste Kaffee in der Tasse. Was uns tatsächlich fehlt, ist ein Kaffeeautomat. Ich gebe gerne zu, wir sind verwöhnt. Ich trinke meinen Kaffee türkisch aber die ewige Sortiererei der Kaffeekrümel im Mund, auf der Zunge, an den Lippen, zwischen den Zähnen entwertet meinen geliebten Morgenkaffee. Claudia trinkt gefriergetrockneten Kaffee. Keine Krümel im Mund aber für mich schmeckt das nicht richtig nach Kaffee. Die Anschaffung eines Kaffeeautomatens scheitert schlichtweg daran, dass wir noch keinen Platz dafür gefunden haben. Unser schwimmendes Tinyhouse ist offenbar für harte Kerle gedacht, die sich abends noch beim Einschlafen die Kaffeekrümel vom Gaumen puhlen. Es gibt immer Tomaten, Gurken, Mozarella mit Balsamico, Äpfel, Bananen, Apfelsinen oder was wir eben gerade haben als erstes Frühstück. Danach planen wir den Tag.
Beispiel 1: Der besteht oft aus solch unspektakulären Dingen wie Nahrungsbeschaffung. Heisst, Beiboot klar machen, runter lassen, Mülltüten einladen, einsteigen, Außenborder starten, zum Ufer fahren, Beiboot an Land ziehen und zwar so, dass es niemanden stört, Mülltüten ausladen und dann Richtung erkundeten „Tante Emma Laden“ laufen. Unterwegs den Müll in den entdeckten, wahrscheinlich öffentlichen Containern entsorgen. Weil wir es nicht genau wissen, machen wir es eher heimlich, ungesehen. Weiter Richtung Tante Emma. Oh Gott, der Laden ist zu. Logisch ihr Dumpfbacken aus old G, hier in Südeuropa sind 99 Prozent der Geschäfte zwischen 13.30 Uhr und 17.00 Uhr geschlossen.
Aber irgendwann landet Käse, Butter, Spülmittel, Brot und Co. dann doch in unserem Rucksack. Brot ist inzwischen für uns zu einem Relikt aus scheinbar vergangenen Zeiten geworden. Mein Gott, was haben wir für wundervolles Brot in old G. Hier gibt es etwas, dass innen meist weiß und so luftig ist, dass man glaubt, da wurden Luftballons in den Teig eingerührt, außen bräunlich und nach dem ersten herzhaften Zubeissen protestiert das Zahnfleisch ob der schmerzhaften Attacke der steinharten Kruste.
Rucksack auf, zurück laufen, glühende Sonne, flimmernde Luft, schwarzer Asphalt, es gibt keine Fußwege nur den endlos erscheinenden Rückweg. Wir haben uns über den Tip von Anne gefreut und uns einen Rolli/Trolli gekauft, eine Art zusammenklappbare Sackkarre im Kleinformat. Was ein Segen. Bleibt nur der Zweifel an der dauerhaften Zuverlässigkeit der Plastikräder.
Juhu, das Beiboot ist noch da, einladen, vom Strand schieben und zurück zum Boot fahren. Uh, die Wellen sind ja mittlerweile 1 m hoch, es faucht mal wieder, Claudia wird vorn im Beiboot nass bis auf die Haut, ich hinten nicht. Wie sollen wir bei der Schaukelei aus dem Beiboot kommen und die schweren Rucksäcke hochwuchten? Es geht irgendwie, zwei blaue Flecken und viele Flüche später stehen wir an Deck, verstauen die gekauften Sachen, und ziehen das Beiboot wieder hoch. Wir freuen uns wie kleine Raubritter über unsere mühselig ergatterten Schätze. Dann kommt schon die Dämmerung. Unsere tägliche Netflix Serie am Abend ist der Ausblick aus dem Cockpit. Einer sitzt links, der andere rechts. Betrachtet man das von außen würde es sicherlich so scheinen, als hätten wir uns gezankt, liegt aber zum einen daran, dass wir den Platz haben und zum anderen daran, dass wir nur uns haben. Heißt, jeder beansprucht auch mal seine Zeit für sich um seinen Gedanken nachzuhängen, den Tag zu sortieren oder einfach mal für sich zu sein.
Beispiel 2: Aufstehen, baden, Kaffee. Wir schnappen uns den rammelvollen 10.00 Uhr Bus. Viele steigen unterwegs aus, um den Tag an einem der unzähligen Strände zu verbringen, der Großteil fährt mit uns jedoch bis zur Endstation, Capo Caccia. Dieses ohnehin schon beeindruckende Kap beherbergt an seinem Fuße eine riesige Tropfsteinhöhle, wie sie so nicht noch einmal in Europa zu finden sein soll. Wir hatten uns extra für einen Montag entschieden in der Hoffnung, die Wochenendberammlung damit zu umgehen. Soweit so gut, nur war es der leider Pfingstmontag. Am Kap oberhalb der Höhle angekommen kurz anstehen um das Ticket zur Höhlenbesichtigung zu kaufen. Und dann ging es 651 Stufen abwärts. Tief in den Fels gehauen schlängelt sich die Treppe dicht an der Klippe nach unten, was eine Arbeit muss das gewesen sein so etwas zu erschaffen. Wir bleiben immer mal stehen um den grandiosen Ausblick zu geniessen, werden überholt von keuchenden, übergewichtigen Engländern, Selfi-versessenden Russen und höflichen Italienern.
Ich hatte erwähnt, dass der Wunsch, Kirchen und Kathedralen in fremden Ländern zu besichtigen für mich nicht so recht nachvollziehbar ist.
Freunde, die „Grotta di Netuno“ (Höhle des Neptun) ist eine Kathedrale, die muss man besucht, gesehen, erlebt haben wenn man auf Sardinien ist. Kein Architekt hat sich dort verewigt, keine geschichtliche Epoche hat dort ihre Spuren hinterlassen. Das ist eine Kathedrale aus der Zeit vor uns.






Wir standen lange, sprachlos mit offenen Mündern in diesem wirklich beeindruckendem „Bauwerk“ der Natur. Für mich DIE Kathedrale.
Danach ging es die 651 Stufen wieder nach oben, langsamer als abwärts mit mehr Pausen, wieder garniert mit unglaublich anstrengenden Mitmenschen. Wir spazierten von dort aus bergab in den nächstgelegene Ort, Pischina Salida. Fanden eine kleine, verträumte Bucht um unsere heißen Füsse zu kühlen ehe uns am Spätnachmittag der Bus wieder einsammelte.
Beispiel drei: Es gibt heutzutage sehr zuverlässige, digitale Wetterberichte die sehr genau und präzise Voraussagen treffen. So kam es wie wir es leider schon so oft erleben mussten: Mistral (auf spanisch Tramontana) ist ein Wettergebilde, welches entsteht, wenn über Frankreich ein Tiefdruckgebiet sich Richtung Südosten ins Mittelmeer abwälzt und dort seinen ganzen, aufgestauten Unmut freilässt, weil ihn auf dem Festland niemand mehr haben will. Da wir es „kommen sahen“, haben wir uns in unserer Ankerbucht ca. 1,2 Nm weiter nach Norden verlegt um mehr Landabdeckung zum haben und mehr Platz nach hinten, falls der Anker nicht hält. 60 m Kette, Zweitanker griffbereit, zweite Hanepot und dann heißt es nur abwarten. Und er kam.

Blau ist gut, Grün ist akzeptabel, Braun ist ganz schöner Mist, Violett ist Hosen voll, Lila ist schlichtweg ein nervenaufreibender Sturm der Stärke 8+. Nix baden, nix Kaffee mit Krümeln unter der Zunge, einfach nur dauernde Angespanntheit. Es faucht ringsum mit einem Lärm, als würde eine Boing 747 neben einem starten. Wir haben gelernt alles zu verstauen und festzubinden, was irgendwie wegfliegen könnte. Drei Tage raubt uns dieses Monstrum den Schlaf, danach ist es so schnell wieder vorbei, wie es gekommen ist. Ausschlafen.
Mancher wird sich vielleicht fragen, warum wir nicht einen sicheren Hafen aufsuchen. Hier wäre der nächste in Alghero, nur 1,5 Stunden entfernt. Völlig berechtigte Frage. Ganz einfach: Ein Hafen ist auch nicht sicher, manchmal noch weniger als eine Bucht. Der Wind lässt sich auch in einem Hafen nicht ausschalten und die Vorstellung, mit 38+ Kn Wind an die zumeist sehr flachen Anleger gedrückt zu werden beruhig uns wenig. Wer will 36 Stunden am Stück das Boot vom Anlegersteg wegdrücken und Fender festhalten? Geht irgendetwas schief im Hafen, bleibt kein Platz und keine Zeit zum Ausweichen. Dann macht es Krach, Bumm, Schepper und die unschuldigen Nachbarn werden gleich mit versenkt. Viele neuzeitliche Häfen sind konzipiert, um möglichst viele Boote auf möglichst wenig Raum beherbergen zu können. Grenzwertiger Auslegungen sei Dank. Der Bedarf wird immer größer, der Platz immer weniger. Am Ende baut sich das ganze Konstrukt auf Versicherungen auf. Wir haben in jedem Hafen immer unsere Kasko- und Haftpflichtversicherung nachweisen müssen. Gut versichert heißt Willkommen.
Und dann kommt noch das Geschäft mit der vorgegaukelten Sicherheit hinzu. Kein Hafen hier weit und breit nimmt uns unter 130 €/Tag in der Hauptsaison auf. Heisst, drei Tage Hafen in Alghero, 400 € versenkt in noch schlaflosere Nächte. Dann lieber eine Bucht neben einer startenden Boing 747.
Beispiel 4: Antifouling und das gute Gewissen. Wie ich in einem anderen Beitrag beschrieben habe, fiel unsere Entscheidung in Portimao auf der Werft zu Gunsten des weniger giftigen Anstriches für das Unterwasserschiff mit der Gewissheit, dass Wirkintensität und -dauer eben nicht first class sein werden. Nun nach drei Monaten im Wasser ist bereits Handlungsbedarf. Über das gesamte Unterwasserschiff hat sich ein geschlossener Belag aus Algen gebildet. Die Vorhut sozusagen, die Späher und Pioniere. Ist dieser Belag zu einer gewissen Dicke herangewachsen bildet er die Grundlage für die nächsten Siedler: die Larven von Makroorganismen wie Krebstierchen, Moostierchen und Muscheln. Diese wachsen dann zum Makrofouling heran. Also baden, Kaffee mit Krümel und wieder ab ins Wasser, bewaffnet mit Bürste und einem Haltegriff mit Saugnäpfen. Der erste Mikrofoulingbelag lässt sich relativ leicht entfernen da er „nur“ einen Biofilm darstellt. Bei zwei Rümpfen a ca. 15 qm braucht es aber dennoch seine Zeit. Ich hätte mich gern dabei gesehen, wie ich schwimmend, fuchtelnd, rudernd und japsend meine ersten Versuche ohne den Haltegriff unternommen habe. Drücke ich die Bürste unter Wasser auf das Boot, drücke ich mich gleichzeitig im Wasser davon weg. Logisch.
Hätte unser lieber Freund Micha nicht seinen Besuch angekündigt, wären wir sicherlich noch ein paar Tag in Maristella geblieben. Zumal uns ein anderer Katamaran, deren Besatzung Philipp und Anne wir in Portimao kennengelernt haben, irgendwann erreichen würde und wir uns über ein Wiedersehen gefreut hätten.
So heißt es am Sonntag den 19.06. Morgens Anker auf und Richtung Norden. Wir haben uns mit Micha in Olbia verabredet. Olbia liegt im Osten Sardiniens, etwa 120 Nm von uns entfernt. Wir planen für die Überfahrt 2 Tage ein. Leider steht der Wind am ersten Tag nicht konstant und nicht immer vorteilhaft für uns. Es ist auf Grund der Topografie dieser Region ohnehin unmöglich mit einem konstanten Wind zu rechnen. Auf Grund der Vielzahl von Inseln bildet sich hier meist ein Karussell aus unterschiedlichen Windrichtungen. Nicht ungewöhnlich, dass er 2-3 mal die Richtung wechselt, während man eine Insel umrundet. So legen wir die ersten 70 Meilen in einem Motorsegler-Modus zurück. Passt der Wind wird gesegelt, passt er nicht heißt unser Segel 2.800 U/min. Wir erreichen nach 13 Stunden mit dem letzten Tageslicht Vignola Mare im Norden Sardiniens. Anker ab, Knutsch, gute Nacht.
Am nächsten Morgen zeigt sich uns die Bucht von ihrer besten Seite: völlige Windstille, kristallklares Wasser, sandiger Meeresboden. Da bemerke ich nicht einmal die Krümel in meinem Kaffee, so schön ist der Anblick. Ab ins Wasser.


Am späten Vormittag geht der Anker wieder hoch, wir wollten hier ja nur Übernachten. Unser nächstes Ziel heisst die Straße von Bonifacio, wo sich Sardinien und Korsika am nächsten sind. Obwohl Micha sich erst für den Samstag angemeldet hat, wollen wir die Meerenge bereits heute am Montag von West nach Ost passieren. Grund ist der, dass der Wetterbericht ab Morgen, Dienstag, starken Wind aus der Gegenrichtung angesagt hat, der sich in der Meerenge durch seine Düsenwirkung noch verstärkt. Wir durchqueren die Meeresstraße bei völliger Windstille und spiegelglattem Wasser und halten Ausschau nach Walen und Delfinen, welche man hier wohl häufiger als irgendwo sonst zu Gesicht bekommen soll. Keinen Wal aber trotzdem Glück:
Nachdem die Straße durchquert ist, haben wir den einzigen kritischen Punkt dieser Fahrt eigentlich geschafft und das bei Windstille. Dennoch haben wir ja nun noch immer 4 Tage Zeit um nach Olbia zu gelangen und uns auf Micha zu freuen. Also kurzfristige Planänderung. Direkt vor uns liegt wieder ein Archipel, der La Maddalena Archipel, bestehend aus 62 Inseln, davon 7 größere. Wir entscheiden uns für die Insel Caprera und dort für die Cala Stagnali. Was ein Zufall, die Hauptinsel des Archipels vor Mallorca hieß Cabrera, eben mit „B“ geschrieben.
Was soll ich sagen, wir hätten uns geärgert, hätten wir den Archipel nicht besucht. Allein die Fahrt zwischen den Inseln ist schon ein Erlebnis. Hohe, steile Felsen auf denen Sträucher und Büsche versuchen ein halbwegs normales Leben zu führen. An flacheren Stellen weiden Pferde ohne Zaun. Einst militärisch genutzt stellt der Archipel heute ein echtes Juwel dar. Nachdem wir unsere Bucht angelaufen haben und sie kurz auf uns haben wirken lassen, war schnell klar, hier bleiben wir länger als geplant.



Wir fahren Abends mit dem Beiboot zu einem der kleinen Strände um „festen Boden“ unter den Füßen zu haben und den Sonnenuntergang zu erleben. Das mit dem festen Boden ist tatsächlich so, wenn man längere Zeit ununterbrochen auf dem Boot war, ist das eine wahre Wohltat und ordnet sicherlich die eine oder andere Synapse wieder auf Werkseinstellung.



Wir fahren von hieraus am Mittwoch weiter Richtung Olbia und legen uns die letzte Nacht direkt vor der Haustür nochmal an einen Strand vor Anker in der Bucht von Nodu Piano, ein kleiner, unscheinbarer Badeort mit weißem Strand.
Wir wissen, dass uns im Stadthafen von Olbia Großstadtrummel erwartet. Entweder wird das eine angenehme Abwechslung oder eine unangenehme Erfahrung. Wir brauchen aber die eineinhalb Tage zum Proviant bunkern, um eine italienische SIM Karte zu beschaffen und um Pizza und Eis in uns hineinzustopfen.
Wir freuen uns auf Micha.
Danke Danke für die super Reiseberichte es ist immer wieder ein Erlebnis sie zu lesen
Wir wünschen euch viel Spaß in Griechenland bei einem großen Ouzo
Gruß Anja und Rainer
Schöne Einblicke, vor allem das tägliche Kaffeekrümel-im-Mund-sortieren 😁