(ab jetzt kann man Galeriebilder anklicken zum vergrößern)
Gesagt, getan, wir besorgen uns einen Mietwagen. Das stellte sich am Ende allerdings als gar nicht so einfach heraus. Auf Grund der vergangenen zwei Pandemijahre und den dadurch drastisch geschwundenen Besucherzahlen haben viele Autovermieter notgedrungen ihre Flotte verkleinern müssen. Nun, da das Touristenaufkommen wieder steigt fehlt es schlicht an genügend Autos. Wir ergattern einen Fiat 7-Sitzer zum Preis eines Wohnmobils. Egal, besser als kein Auto. Unsere netten Ankernachbarn aus Kiel wollen noch ein paar Tage mit uns auf Kos bleiben, wir freuen uns. So unternehmen wir einen gemeinsamen Ausflug zunächst nach Kos City. Ich möchte mir gern die dortige Werft ansehen. Da ist alles chic, alles neu, alles so, als wäre es einem Hochglanzprospekt entsprungen. Sehr saubere Anlage mit sehr vielen Wachleuten in sauberen Uniformen. Die Marina Kos und ihre Werft gilt als eine der schönsten in ganz Griechenland. Nach unseren bisherigen Erfahrungen hat das tatsächlich seine Berechtigung.
Wir besichtigen die Ruinen der Ritterburg Nerazia inmitten der Stadt. Wahrscheinlich stand in der Antike dort schon eine Festung, sicher ist der Bau aber erst ab dem 13. Jahrhundert nachweisbar. Im 14. Jahrhundert wurde sie von den Johannitern (Malteser Ritterorden) ausgebaut, verstärkt und gegen die wachsende, türkische Bedrohung gerüstet. Umsonst, Anfang des 15. Jahrhunderts mussten sie die Burg den Osmanen überlassen, die diese dann bis Anfang des 19. Jahrhunderts als Kaserne nutzten. Uns hat gut gefallen, dass die Ruine praktisch sich selbst überlassen ist und mit allerlei Grün überwuchert ist. Und das sie mit antiken, hellenistischen und römischen Fragmenten von Säulen, Altären und Statuen geschmückt ist. Das haben die Griechen gut hinbekommen. Und sie bietet einen schönen Ausblick über die Stadt, den alten Hafen und über das Meer bis hinüber zu den ehemaligen, osmanischen Eroberern.
Gleich nebenan steht die Platane des Hippokrates. Ansich nichts weiter als ein uralter, ehrwürdiger Baum. Aber wie so vieles hier in Griechenland macht die Geschichte den Ort erst interessant. Die besagt nämlich, dass dieser Baum von Hippokrates höchstpersönlich gepflanzt wurde und er später darunter gelehrt haben soll.

Aber wer genau ist dieser Hippokrates? Gehört hat den Namen ja schon jeder einmal. Wir fahren zur den antiken Ausgrabungen des Asklepieion von Kos. Dies ist ein griechisches Heiligtum des Asklepios, eine Art Tempel mit angeschlossenem Sanatorium. Häääh, Asklepokrates was?Jetzt sortieren wir die ganzen Namen nochmal: Asklepios ist laut griechischer Mythologie der Gott der Medizin und Heilung. Die für ihn in der Antike errichteten Heiligtümer heißen Asklepieion von denen es etwa 300 gibt. Und nun fügen wir Hippokrates noch ein. Der war ein Arzt und Gelehrter der Antike und gilt als der Begründer der wissenschaftlichen Medizin, der Vater der modernen Heilkunst sozusagen. Der erste Mediziner, der Heilung durch wissenschaftliche Beobachtung und Erkennen definierte. Und Hippokrates forschte und lehrte im Asklepieion von Kos. Somit sind die Ruinen zwar auch wieder nur ein paar alte Steine aber wieder macht die Geschichte diesen Ort so besonders. Und ausnahmsweise sind es mal keine Göttermythen oder fragwürdige Überlieferungen sondern handfeste, nachgewiesene Geschichte. Wenn Griechenland vielleicht nicht ganz die Wiege des Abendlandes ist, so ist es doch auf jeden Fall die Wiege der europäischen Medizin. Das muss man anerkennen.
Nach dem Besuch dieses geschichtsträchtigen Ortes kümmern wir uns um unsere eigene, schnöde Geschichte: Einkaufen bei Lidl. Ich hätte nicht gedacht, dass solche Einkäufe mal so wichtig werden. Es gibt praktisch alles zu kaufen, was man auf dem Boot braucht und noch viel mehr, was das Leben versüsst. Und das zu moderaten Preisen. Also wird gebunkert was der Einkaufswagen tragen kann, nutzen wir den unschlagbaren Vorteil des Mietwagens, der uns das Schleppen erspart. Dörte und Jens haben den Lebensmittel-Großangriff schon hinter sich und picken sich nur noch ein paar Schmankerln.

Wir fahren noch auf einen Berg um den Sonnenuntergang zu erleben. Wurde aber nichts, da die Sonne nicht wie gewünscht im Meer baden ging sondern in einem Dunstschleier. Egal, das war ein schöner Tag. Jens kommt noch kurz auf einen Absacker mit zu uns, Dörte meldet sich glücklich erschöpft ab.
Der nächste Tag beschert uns ein ganz besonderes Erlebnis: Jens und Dörte laden uns zu einem Probetörn auf ihrer „Tendrell Aurelie“, einer ofni 455 cc von Alubat ein. Allein schon die schiere Größe dieses aus Aluminium gebauten Bootes ist beeindruckend. Noch beeindruckender war aber das Erleben eines neu überdachten, alten Segelkonzeptes. „Tendrell Aurelie“ ist mit zwei gleichen Vorsegeln auf einem gemeinsamen Vorstag (das Profil, auf dem das Vorsegel aufgewickelt wird) ausgestattet. Bei Am Wind- (gegen den Wind) und Halbwind- (Seitenwind) kursen liegen beide Segel übereinander und bilden somit ein Segel. Bei Vorwindkursen (vorm Wind) wird jeweils ein Segel zu jeder Seite gestreckt und bildet somit ein beachtlich großes „Doppelsegel“. Und da beide Segel über das gemeinsame, rollbare Vorstag gefahren werden nutzt diese Segelgarderobe all die unschlagbaren Vorteile eines Rollsegels: es ist mit wenigen Handgriffen gesetzt (ausgerollt), mit wenigen Handgriffen gerefft (verkleinert) und mit wenigen Handgriffen geborgen (eingerollt). In Kombination mit zwei extrem leichten Carbonbäumen, welche die Segel weit zur Seite halten ein sensationelles Konzept. Und das beste, es funktioniert einwandfrei. Wir machen bei 5-7 Knoten Wind 4-5 Knoten Fahrt. Seinen Ursprung hat es wahrscheinlich in der sogenannten Passatbesegelung, welche auch aus zwei Vorsegeln besteht, aber längst nicht so Weltklasse gestrickt ist, wie auf der „Tendrell Aurelie“.
Anschließend besuchen wir vier nochmals eine alte Festung, die Festung von Paleo Pyli, diesmal aber nicht um der Festung Willen sondern wegen der wohl grandiosen Aussicht und der etwas „anderen“ Taverne Oria. Ein Tip von Sandra, der sich unglaublich gelohnt hat. Wir finden uns in der sächsischen Schweiz wieder, dicht bewaldete Felsen säumen unseren Aufstieg, vorbei an Ruinen der unteren Festung gelangen wir auf eine Art Plateau und uns stockt für einen Moment der Atem. Freunde, so ein Ausblick ist selten. Wir können bei bester Sicht bis zu den Nachbarinseln Kalymnos und Pserimos blicken, gegenüber thront auf einem Berg die Festung angestrahlt von der gleich untergehenden Sonne, die Stimmung ist fast magisch. In dieser Abgeschiedenheit hängt jeder für einen Moment seinen Gedanken nach und träumt.
Sonne weg, Licht aus, aber zum Glück ist ja da die Taverne. Wirt Giorgios spricht deutsch und hat sich eine urige Einkehr geschaffen mit aufgestellter Speisekarte (ohne Preise) für alle, witzigem Freiluft WC und gemütlichem Freisitz. Das Essen ist griechisch, einfach aber lecker. Am Ende schätzt er uns auf 80 € die wir auch gern bezahlen, in bar natürlich. Hier oben gibt es kein Internet meint er. Sympathischer Typ.
Der kommende Tag führt uns zu dritt, Dörte hat Hitzefrei bekommen, zu einem Dorf namens Zia. Wieder so ein Ort der für sich beansprucht, einer der attraktivsten zu sein. Die Ankunft ist erstmal ernüchternd. Wir erleben eine Meile mit unzähligen Souvenirgeschäften, Ausflugsbusse zwängen sich durch die Gasse, pilgernde Urlauber so weit das Auge reicht. Wollen wir das sehen? Ja, wollen wir, denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Ort als charmantes Dorf, welches in seinen Nebengassen entdeckt werden will.
Anschließend erkunden wir das genaue Gegenteil von Zia, ein verlassenes Dorf namens Agios Dimitrios. Der Weg dorthin führt uns durch eine Gegend, die wir mit unserem Harz vergleichen würden. Zu Glanzzeiten hatte das Dorf 35 Häuser aber irgendwann verließen seine Bewohner auf Grund fehlender Infrastruktur das 180 Seelen Örtchen. Noch heute ist der Ort nicht an das Stromnetz angeschlossen und sein Handy kann man getrost in der Tasche lassen, Empfang gleich Null. Vielleicht erklärt aber genau das, den ganz eigenen Charme dieses Geisterdorfes. Allmählich erwacht das Dorf aber wieder aus seinem Dornröschenschlaf, einige Häuser wurden saniert und zwischen frei umherlaufenden Ziegen hat sich eine kleines Kafenion (Café) angesiedelt.
Danach lassen wir nochmal etliche Euro bei Lidl und haben nun aber wieder Vorräte für bestimmt 6 Wochen, ein gutes Gefühl.
Wir besuchen noch einen Salzsee namens Alikes, ein Naturschutzgebiet. Bis um die 1990er Jahre als Saline genutzt hat sich die Natur diesen Lebensraum zurück erobert. Im Winter und Frühling ist der See gut mit Wasser gefüllt, so dass viele Vogelarten ihn zum Aufziehen ihrer Jungen oder als Rastplatz nutzen. Dann kann man auch viele rosa Flamingos sehen. Da wir zum Ende des sehr heißen Sommers hier sind ist der See fast ausgetrocknet und stinkt nach fauligem Schlamm. Ein eher lebensfeindlicher Ort. Wir können dennoch weit entfernt ein paar junge Flamingos sehen die sich in ihrer Farbe allerdings nicht von der des Schlammes unterscheiden.
Am kommenden Tag weiht Jens uns in ein Geheimnis des Takelns ein, genauer in die Kunst Softschäkel zu spleißen und zu binden. Ein Softschäkel ist praktisch eine universell einsetzbare Befestigungsmöglichkeit, die mittels Schlinge an- und abgebaut werden kann wo man sie gerade braucht. Soft deshalb, weil er meist aus Dyneema hergestellt wird, eine Kunstfaser deren Bruchlast fast doppelt so hoch ist wie die von Stahl. Hexenwerk. So sitzen wir abends noch lange zusammen und gönnen uns einen Sundowner auch ohne Sonnenuntergang. Überhaupt haben wir so viele brauchbare Dinge von den beiden gelernt. Brotbacken, Desinfektion von Wassertanks, Erholungskur für Dieselmotoren, wie man Galeriebilder in seine Website zum vergrößern einbaut, eben viele, viele nützliche Sachen. Und schlicht und ergreifend viele ernste, fröhliche, alberne und sinnesschwangere Unterhaltungen. Unbezahlbar.
Wir werden am Folgetag von den beiden zum Tortilla essen bei ihnen an Bord eigeladen. Was eine Schlemmerei, lauter leckere Sachen gingen da durch unsere Hände und Mägen. Danke liebe Dörte, dass du dir so viel Mühe gemacht hast. Auch dieser Abend war wieder schrecklich schön, allerdings unser vorerst letzter gemeinsamer.
Ganz großer Mist, Kaimiloa muss ins Krankenhaus und da es in der östlichen Ägäis nur drei passende Kliniken für Katamarane gibt haben wir beschlossen, die notwendige OP hier in Kos durchzuführen. Beide Wellendichtungen (Abdichtung der Propellerwelle im Boot) sind verschlissen und wir haben ständig, wenn die Motoren laufen Wasser im Boot. Das ist nichts ungewöhnliches, die Dinger halten nun mal nicht ewig. Sorge macht uns nur die Ungewissheit, ob das im Laufe der Zeit vielleicht mehr wird. Der OP Termin steht für übermorgen fest. So verabschieden wir uns am kommenden Tag von unseren Kieler Nachbarn, um uns auf den Weg nach Kos City zu machen, dort zu der vor ein paar Tagen besichtigten Marina mit Werft. Wir haben guten Wind und kommen ohne Eile am späten Nachmittag an und ankern direkt vor der Werft. Der Verkehr an Fähren von/nach Kos City ist sehr hoch und so gibt es entsprechend viele von ihnen erzeugte Wellen die uns daran erinnern, dass wir vor einer großen Hafenstadt parken.
Am kommenden Morgen, wie vereinbart Punkt 09.00 Uhr stehen wir vorm Travellift der Werft um unser Boot an Land heben zu lassen. Auch die Crew des Liftes ist irgendwann da, nur später als wir.

Wen es interessiert, das Ein- und Aussetzen unseres Kats inklusive 10 Tage Stellplatz auf der Werft kostet 780 €, die beiden Dichtungen 700 €, das notwendige Appartement für drei Nächte 210 €. Operiert habe ich selbst. Somit die wahrscheinlich teuersten vier Tage die wir erlebt haben und erleben werden. Aua.
Solltet ihr jemals Kos City auf eurem Reiseplan haben, bucht nicht die „Fantasia Hotel Appartements“ so wie wir. Unser Appartement wirkte wie eine Zelle im gehobenen Strafvollzug. Dunkel und billigst, schmucklos eingerichtet. Dann noch direkt an einer Hauptstraße gelegen, die permanent von LKW`s und Bussen genutzt wird.
Nach Aufwachraum und einem Tag Genesung ging unser Boot am Montag, also gestern, wieder ins Wasser. Banges Eintauchen am Lift, Kontrolle beider Dichtungen, dicht. Motor an, Gang rein, Welle rotiert, immer noch dicht. Mir macht so etwas immer ein ungutes Gefühl, wenn etwas ohne Probleme im ersten Durchgang funktioniert. Aber es funktioniert.
Apropos ungutes Gefühl. Mit Verlassen der Ankerbucht vor Kefalos hat mich eine ungute Niedergeschlagenheit eingeholt. Die Zeit dort mit meinem Bruder und meiner Schwägerin, mit Dörte und Jens war so schön, ich wollte da nicht wieder weg. Zum ersten Mal habe ich keine Lust mehr, weiter zu segeln. Zum ersten Mal ist meine Motivation auf einer 10-teiligen Skala bei -2. Zum erstem Mal stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob ich für solch ein Nomadenleben geschaffen bin. Bei Claudia ist es genau anders herum. Hatte sie anfangs Zweifel, ob sie so ein Leben leben kann und möchte, hat sie sich nun damit bestens arrangiert und freut sich auf die kommenden Wochen. Ich hoffe, dass diese Verstimmung nur von kurzer Dauer ist und als „normal“ eingestuft werden kann.
Der Wind bläst für die kommenden Tage kräftig aus Nord bis Nordwest. Somit können wir eigentlich nur Richtung Süden segeln. Unser nächstes Ziel heisst somit Rhodos. Zwischen Kos und Rhodos liegen drei kleine Inseln welche auf den Namen Gyali, Nisyros und Tilos hören. So nehmen wir nach dem Tanken an der Werft direkten Kurs auf die erste Insel, Gyali. Die Insel ist praktisch unbewohnt und hat nicht viel zu bieten, wird aber angelaufen wegen der schönen Strände und des kristallklaren Wassers. Mit kräftigem Wind haben wir die 22 Meilen in weniger als vier Stunden geschafft. Der Ankerplatz ist gut geschützt gegen den teils in Böen deftig fauchenden Wind. Nicht gegen den Wind, vor dem kann man sich nicht wirklich verstecken, aber gegen sich aufbauende See ist der Platz gut geschützt, der vor uns liegende Strand sieht einladend aus, das Wasser ist tatsächlich kristallklar. Obwohl praktisch unbewohnt ist die Insel doch in fester, menschlicher Hand. Es gibt hier sehr große Bimssteinvorkommen und so hat eine Mine beschlossen, die Insel einfach Stück für Stück abzutragen. Sieht man sich das Bergwerk an, kann man sehr gut die bereits verschwundenen Berge erkennen. Das läuft aber erstaunlich ruhig, fast unbemerkt ab. Wir machen einen ausgedehnten Strandspaziergang und sehen uns die andere Seite der Insel an. An dieser Stelle ist Gyali nur ca. 300 m breit so dass man fast gleichzeitig unsere, ruhige Südseite sieht während es auf der anderen Nordseite hohe Wellen an Land wirft. Uns gefällt die Insel sehr gut, ist sie wenig besucht und so liegt auffällig wenig Müll am Strand herum. Schön.
Morgen setzten wir über zur nächsten Insel Nisyros. Wir sind gespannt.
Wunderschön und plastisch beschrieben! Wie kitschig dürfen Sonnenuntergänge sein, damit man sich daran sattgesehen hat? Und dann noch einen Sundowner dazu!
Und ja, eins der wenigen schmerzhaften Dinge die Langfahrtsegler erleben müssen, ist der immer wiederkehrende Schmerz wenn man wissentlich einen liebgewordenen Ort oder nette Menschen bei der Abfahrt verlässt und nur hoffen kann diese im Herzen mitzunehmen.